Bei herrlichem Juniwetter versammelten sich die LCÖ-Mitglieder eines Morgens im Klostergasthof Heiligenkreuz. Doch schon bald drängten die Organisatoren Eva und Arnold zur Abfahrt. Etwas verspätet, aber geschlossen setzte sich die Lancia-Kolonne in Bewegung und folgte den Organisatoren durch das attraktive Mostviertel nach Wilhelmsburg. Und damit war das Tagesziel auch schon erreicht. Nun stellt sich die Frage, was es denn in Wilhelmsburg so Spannendes gibt, dass schon hier mit der Ausfahrt Schluss sein sollte. Es war ja noch nicht mal Mittag! Ganz einfach: Daisyworld.
Hinter diesem Namen versteckt sich die bekannte Geschirr-Fabrik, die 1959 das berühmte Lilienporzellan auf den Markt brachte. Ein in Pastelltönen gefärbtes, konisch geformtes Geschirrservice namens „Daisy“. Technischen Problemen war es zu verdanken, dass unter der Kollektion „Melange“, bei der aus Daisy-Einzelteilen ein buntes Ensemble zusammengestellt wurde, der Verkaufsschlager schlechthin wurde. Und obendrauf gab es noch eine zwanzigjährige Nachkaufgarantie. Ein Zuckerl für die Nachkriegsgeneration.
Produziert wird hier seit 2020 nichts mehr. Dank Schlossermeister Manfred Schönleitner konnte die Winckhlmühle, der ursprüngliche Produktionsort, an dem 1795 alles ihren Anfang fand, vor dem Verfall retten, gründete 2006 das Wilhelmsburger Geschirr-Museum und begann mit der originalgetreuen Restaurierung des historischen Gebäudes. Nun wird hier im alten Teil der Fabrik langsam wieder Leben eingehaucht. Ein Rundgang durch die historische Fabrikanlage zeigt neben der Geschichte der Fabrik ein Geschirr-Museum, ein Steingut Schaudepot, ein Keramikstudio, die ehemalige Werksküche und die wieder in Betrieb genommene Wasserkraftanlage. Eine so umfangreiche und wirklich spannende Geschichte, die im Nachhinein erklärt, warum diesmal nach nur 65 gefahrenen Kilometern unsere Oldtimer die Nachsicht hatten.
Ein grober Überblick zur Geschichte der Geschirr-Fabrik:
Bereits 1795 wurde hier mit der Wilhelmsburger Steingutproduktion begonnen. Mehrmals wechselten die Besitzer, bis schließlich 1883 der Wiener Textilgroßhändler Heinrich Lichtenstern den Betrieb erwarb. Ihm und seinen Erben war es zu verdanken, dass die Fabrik zur größten Steingutgeschirrfabrik innerhalb der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn wurde. Und als es einige Jahre später zur Übernahme der Steingutfabrik in Znaim und der Sanitär- und Ziersteinguterzeugung in Teplitz kam, wurde erstmals ab den 1920er-Jahren auch in Österreich Sanitärkeramik erzeugt. Dann brach der Zweite Weltkrieg aus und die Familie Lichtenstern wurde enteignet, verfolgt und musste flüchten. Kurt Heinz Lichtenstern, Enkel des verstobenen Heinrich Lichtenstern, kehrte nach Kriegsende als amerikanischer Staatsbürger unter dem Namen Conrad H. Lester aus dem Exil zurück und bekam nach einem Vergleich das Unternehmen in Wilhelmsburg wieder zuerkannt. Damit startet neben dem Steingut auch die Porzellanproduktion, die 1959 das berühmte Lilienporzellan hervorbrachte. Es folgten weitere Geschirrformen, auch eigens für die Hotellerie wurde produziert. 1967 brachte Conrad H. Lester sein Unternehmen in den Schweizer Konzern Keramik Holding AG Laufen ein, zog sich jedoch 1979 aus dem Aufsichtsrat zurück. Nach über dreißig Jahren, Anfang der 1990er-Jahre wurde dann auch die Daisy-Produktion eingestellt und nur ein Jahr nach dem Tod Lesters stellte die Laufen Austria AG 1997 die Geschirrproduktion in Wilhelmsburg komplett ein. Die Produktion von Sanitärwaren lief noch bis 2020. Die Winckhlmühle, der ursprüngliche Produktionsort, wurde nicht mehr genutzt und stand inzwischen kurz vor dem Verfall. 2006 erwarb Schlossermeister Manfred Schönleitner das Objekt, gründete das Wilhelmsburger Geschirr-Museum und begann mit der Restaurierung. Bereits 2007 wurde das Museum eröffnet mit dem Ziel, das Wissen vergangener Generationen zu bewahren. Aber die Geschichte der Fabrik ist um einiges umfangreicher als hier beschrieben, weshalb sich ein Ausflug nach Wilhelmsburg definitiv lohnt: https://geschirr-museum.at/cms/